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Hilfe zur Selbsthilfe - Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960-1975
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Hilfe zur Selbsthilfe - Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960-1975
von: Hubertus Büschel
Campus Verlag, 2014
ISBN: 9783593422442
646 Seiten, Download: 5910 KB
 
Format:  PDF
geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

Einleitung
'Wir sind [...] hergekommen auf der Suche nach den letzten Überresten einer alten, überlebten Kultur eines Nomadenvolkes. Wir fanden ihre Kinder. Wir fan-den sie rechnend, lesend, schreibend. Lernend und singend. Singend von der Zukunft der freien Jugend Tansanias.'
Mit diesen Worten beschrieben die ostdeutschen Reiseschriftsteller Fritz Rudolph und Percy Stulz ihren Besuch in einer Internatsschule für Massai-Kinder im Norden Tansanias im Jahr 1968. Sie fuhren fort:
'Selbst die Zeigerstellung der Uhren muß [im Schulunterricht] erst erklärt werden, denn in den Hütten der Hirtennomaden hat eine Uhr noch Seltenheitswert; doch die Kinder lernen schon, was die Stunde geschlagen hat, und die selbstgebastelten Häuschen aus Papier haben schon die Form von morgen. Die hier lernen, werden es selber verwirklichen, daß aus den kindlich geformten Modellen die Wohnstätten ihrer zukünftigen Familien werden. Ihre Kinder werden nicht mehr in Erdhütten aufwachsen und sich nicht mehr mit Rinderurin waschen.'
Diese Sätze sind geradezu typisch für Diskurse der 1960er- und 1970er-Jahre über ?alte, überlebte Kulturen?, über sogenannte ?Unterentwicklung? und die Notwendigkeit zur eigenständigen und selbstbestimmten Arbeit von Afrikanern an ihrer Zukunft, ob sie nun von Ost- oder Westdeutschen, von Briten, Franzosen und Nord-Amerikanern stammten. Sie stehen für eine Vielzahl von Annahmen, die Zeitkonzepte und Entwicklung in Zusammenhang brachten mit Termini wie ?Wandel?, ?Fortschritt? und ?Selbstbestimmung?.
Hier findet sich immer auch das Bild von der vermeintlichen Zeitlosigkeit und Zeitunkenntnis als unterentwickelt angesehener Gesellschaften. In Broschüren, Büchern, Tagebuchaufzeichnungen oder Radiosendungen war die Rede davon, dass viele Afrikaner allmählich erst 'lernen' oder 'begreifen' müssten und tatsächlich auch würden, dass für sie die 'Stunde geschlagen' habe, sich endlich selbst zu entwickeln.
Von durch die Regierung Tansanias bereits verwirklichter Selbsthilfe beeindruckt hatte sich bereits 1964 der Vorsitzende der CDU in der DDR, Gerald Götting, nach einem Aufenthalt in Dar es Salaam geäußert:
'Was mir besonders auffiel, waren die neuen großen Hütten, die, in bunten Farben getüncht, sauber und einladend an den Straßen am Stadtrand erst in letzter Zeit entstanden sind. Vor ihnen wickelt sich das tägliche Leben der Familie ab, so wie es nach Tradition und Klima jahrhundertelang geschah. Alle diese Häuser wurden in Selbsthilfe errichtet. [...] Nur die Materialien wurden von der Regierung geliefert, alles andere machen die Einwohner in freiwilliger, unbezahlter Arbeit selbst'.
Götting berichtete auch vom ersten Präsidenten des unabhängigen Tansania, Julius Nyerere, der Selbsthilfe als tragendes Entwicklungsprinzip des Landes ausgerufen hatte, die 'Selbsthilfe im Kampf gegen Armut, Unwissenheit und Krankheit'. Überall seien Tansanier 'zu Hunderttausenden' jenem 'Ruf zu den Waffen der friedlichen Selbsthilfe' gefolgt. Nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Schulen, Krankenstationen, feste Straßen und Wasserleitungen seien in gemeinschaftlicher, unentgeltlicher und freiwilliger Arbeit der Menschen vor Ort errichtet worden. So habe man alles gebaut, 'was jetzt im Interesse der Afrikaner notwendig [sei], weil es die Kolonialherren dem Volk bisher vorenthalten' hätten. Man handele in der 'Gewissheit', nun endlich nur für sich selbst zu arbeiten und zu bauen. Entsprechend gebe es sehr viel Freude und Dankbarkeit.
Dabei brauche es allerdings auch oft Impulse von außen, sprich aus der DDR. So betonte man immer wieder den eigenen Beitrag zur Entwicklung Afrikas in Hilfe zur Selbsthilfe, die in der Regel unter dem Begriff Internationale Solidarität subsummiert wurde. Beispielsweise hieß es im Bericht einer Delegation der Sozialistischen Einheitspartei (SED), die 1965 Tansania einschließlich der Insel Sansibar besucht hatte: Es sei unbedingt notwendig, dass die Tansanier sich erst einmal grundsätzlich ihrer 'erbärmlichen und lebensunwürdigen Lage' bewusst würden; mit Hilfe von Beratern der DDR sollten sie erkennen, dass sie 'wie die Tiere leben'. Daraus würden sie überall in ihrem Land den Antrieb gewinnen, durch eigene Arbeit entschlossen ihr Leben zum Besseren zu verändern.
Dieser Logik folgend wurde 1969 von Sansibar berichtet, dass DDR-Entwicklungsexperten, Brigaden der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und afrikanische Jugendliche eine ganze Stadt in Hilfe zur Selbsthilfe aufbauen würden: 'Hand in Hand', einvernehmlich, 'ohne Bedingungen' und mit der 'Schöpferkraft' eines vom 'Kolonialismus befreiten Volkes' entstünde dort die Siedlung Bambi, ein wahres 'Kind der Freundschaft'.
Ähnlich wie Autoren der DDR priesen auch Westdeutsche die Bedeutung ihrer Hilfe zur Selbsthilfe für die Entwicklung Afrikas: So schrieb der Theologe und Entwicklungsexperte Jochen Schmauch, durch dieses Entwicklungskonzept könnten sich in jenem am wenigsten entwickelten Kontinent 'objektiv ablesbare Fortschritte' einstellen, die den 'Namen ?Entwicklung?' verdienen würden, wie
'der Schritt von der Wurfsaat zur Reihensaat, von der Hacke zum Ochsenpflug, oder: der Wechsel vom Holzfeuer zum Elektroherd, vom Regenmacher zur Bewässerung, vom Trampelpfad zur Asphaltstraße, vom Geheimniskrämer zum Arzt. Oder: der Übergang von der Selbstversorgung zur Marktproduktion, von der wirtschaftlichen Abhängigkeit zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit, von der politischen Fremdbestimmung zur politischen Selbstbestimmung.'
Nach einer Stippvisite in den Usambara-Bergen Tansanias Mitte der 1970er-Jahre berichtete Lenelotte von Bothmer, Mitglied des Bundestages für die SPD, begeistert von einem entsprechenden deutsch-tansanischen Entwicklungsprojekt. In einer Landwirtschaftsschule sollten Mädchen und Jungen wirtschaftliches Haushalten, Feldanbau und Viehhaltung lernen. Hier sei wirklich erreicht worden, was man oft nur 'in schönen Reden' höre. Denn es sei den 'Menschen die Möglichkeit gegeben worden, sich selber zu helfen.' Jeder Deutsche arbeitete gleichrangig mit einem Counter-part zusammen, der alsbald 'fähig sein sollte, die Stelle alleine auszufüllen.' In der Tat war es häufig die Konzeption dieses einheimischen Partners - des Counterparts -, an der sich der Beifall für Hilfe zur Selbsthilfe entzündete.
Der Theologe Wilfried Warnek, der 1962 für die West-Berliner Arbeitsgemeinschaft Weltfriedensdienst im südkamerunischen Dorf Nkpwang tätig gewesen war, konnte mit einer ähnlichen Erfolgsgeschichte aufwarten. Warneck hatte sich einem seit 1958 bestehenden internationalen Aufbaulager für ein Musterdorf mit landwirtschaftlichem Ausbildungszentrum angeschlossen, zu der die kamerunische Jugendorganisation Action Paysanne junge arbeitslose Männer und Frauen verpflichtete. Entwicklungshelfer aus der Bundesrepublik Deutschland, anderen europäischen Staaten und den USA waren als Straßenbauingenieure, Architekten, Statiker, Vermessungstechniker, Mechaniker, Facharbeiter, Ärzte oder Seelsorger beratend tätig. Die jungen Afrikaner sollten angeregt werden, ihr Leben in die Hand zu nehmen, engagiert über ihre Probleme nachzudenken, Lösungsstrategien für die ?Verbesserung? ihrer Lebenssituation zu entwickeln und diese weit-gehend selbstständig in die Tat umzusetzen. Auch hier wurde Hilfe zur Selbsthilfe geübt. Als das Schulungszentrum schließlich eingeweiht werden konnte, berichtete Warneck: Den 'Weißen und Schwarzen als Freunde und Brüder' sei in der Tat gelungen, 'gemeinsam etwas Neues' zu schaffen.
Die zitierten Berichte aus dem Feld west- und ostdeutscher Entwicklungsarbeit in Afrika sind nur einige Beispiele für die überall in der Welt in den 1960er- und 1970er-Jahren aufgestellte Behauptung, dass Hilfe zur Selbsthilfe ein ?gutes?, wenn nicht gar das einzig geeignete Entwicklungskonzept für die sogenannte Dritte Welt sei. Bereits im Jahr 1949 verkündete der Präsident der USA Harry Truman in seinem berühmten 'Point-Four-Program', das vielfach als Gründungsdokument moderner Entwicklungspolitik angesehen wird: Entwicklungsarbeit müsse künftig vor allem darin bestehen, 'underdeveloped nations' darin zu helfen, 'to help themselves'. Und auch im Weltbankreport zu Tanganjika von 1961 ist beispielsweise zu lesen: Es sei nur zu hoffen, dass die Menschen in diesem ostafrikanischen Land möglichst schnell 'begreifen' würden, dass sie vor allem durch ihre eigenen Anstrengungen ihre Lebensbedingungen 'verbessern' könnten.
Die Etikettierung von Hilfe zur Selbsthilfe als Garant ?guter? Entwicklung war so wirkungsmächtig, dass es sogar zur Gründung von Entwicklungsagenturen kam, die sich schon ihrem Namen nach ausschließlich dieser Form von Entwicklungsarbeit verschrieben. Nur ein Beispiel ist die Kübel-Stiftung für Hilfe zur Selbsthilfe des hessischen Möbelfabrikanten Karl Kübel aus Bensheim, die 1966 ins Leben gerufen wurde.



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