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Das Konzept
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Das Konzept
von: Uwe Schwartzer
BLITZ-Verlag, 2020
ISBN: 9783957193131
320 Seiten, Download: 2704 KB
 
Format: EPUB
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

Eins


 

Er war wunschlos glücklich und sah seiner Zukunft mit zufriedener Gelassenheit entgegen. Die gepolsterte Liege, auf der er sich wohlig rekelte, stand auf dem gepflegten Rasen der Blackbeard Yacht Charters Ltd., einer Firma, die sich in einer der vielen Marinas von Freeport auf Grand Bahama befand – und die ihm gehörte. Zudem schwelgte er in nie erlebten Höhen der Selbstbewunderung, nachdem es ihm entgegen aller Vorhersagen neidischer Kollegen gelungen war, die klimatischen und beruflichen Niederungen Norddeutschlands hinter sich zu lassen und hier, am Nordrand der Karibik, dem touristischen Traumziel, das bei den meisten Menschen spontane Glücksgefühle und Urlaubssehnsüchte auslöste, einer einträglichen Beschäftigung nachzugehen.

In Scharen strömten sie herbei, in erster Linie gut betuchte Amerikaner, um die unzähligen einsamen Strände und verträumten Badebuchten mit pulverfeinem Sand und kristallklarem Wasser auf unbesiedelten Inseln zu entdecken. Korallenriffe, Fischschwärme, Muscheln, Schnecken und Seeigel bevölkerten die Unterwasserwelt und zogen die Touristen magisch an. Und alle drängten ihm ihr Geld auf. Soeben hatte er die letzte seiner sechs Jachten, eine Ventura 30 Race mit fünf Schlafplätzen, für zwei Wochen an einen New Yorker Börsenmakler mit seiner Familie verchartert. Wenn es so weiterging, würde er seine Flotte bald vergrößern oder wenigstens die Preise erhöhen müssen. Er genoss diese Art von Sorgen und träumte, wie schon so oft, von dem berüchtigten Piraten Blackbeard, der hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelebt hatte.

Plötzlich klingelte das Telefon. Er seufzte, die Realität hatte ihn wieder. Missgestimmt nahm er den Hörer ab, die Beine vom Tisch und grunzte ungehalten: „Becker.“

„Mensch, was ist los bei Ihnen?“, wetterte Ohlers Stimme aus dem Apparat. „Warum melden Sie sich denn nicht? Ich hab es mindestens zehn Mal klingeln lassen.“

„Ich bin eben erst aus einer Besprechung zurück ins Büro gekommen“, erwiderte Becker lahm.

„Dann lassen Sie sich mal bei mir sehen, aber ein bisschen rapido, wenn ich bitten darf.“ Ohler liebte es, spanische Wörter in seine Reden einzuflechten, seit er vor Jahren einige Zeit in einer Madrider Branntweinbrennerei hospitieren durfte. „Ich muss gleich noch zu einer Verbandssitzung.“

 

Ronald Ohler hatte sich hinter Stapeln von Akten verschanzt und sah ihn missmutig an. Er war der Marketing-Direktor in der Spirits & Wine Import AG und damit der direkte Vorgesetzte von Becker, der es selbst bisher nur zum Senior-Produktmanager für Innovationskoordination gebracht hatte. Ohler deutete auf einen Stuhl, seufzte, als würde das gesammelte Leid dieser schnöden Welt auf seinen krummen Schultern lasten, und begann wie einer dieser Gratulanten in den Erbschleichersendungen im Radio zu reden, die in der stillen Hoffnung auf eine großzügige Erwähnung im sehnlichst erwarteten Testament unbeholfen musikalische Glückwünsche für gut betuchte Verwandte vom Blatt ablasen.

„Herr Becker, Sie sind nach mir der Ranghöchste in unserer Abteilungshierarchie. Deswegen möchte ich auch Sie zuerst über einige schon längst fällige organisatorische Anpassungsmaßnahmen informieren.“

Becker ahnte bereits, was jetzt gleich kommen würde. Vor zwei Jahren hatte sich der frühere Eigentümer gezwungen gesehen, sein Familienunternehmen zu verkaufen, da die Banken nicht mehr bereit gewesen waren, die nötigen Kredite zur Verfügung zu stellen. Ein kapitalkräftiger englischer Finanzinvestor, eine sogenannte Heuschrecke, hatte das Traditionsunternehmen übernommen, und seitdem wurden sie konsequent auf cash gemanagt. Auf gut Deutsch bedeutete das Stellenabbau und Streichung von Mitteln für Forschung und Entwicklung, denn nach spätestens fünf Jahren würden diese Leute Kasse machen und die Firma weiterverkaufen wollen.

„… können wir uns somit keinen unnötigen Luxus mehr … Sagen Sie mal, Becker, hören Sie mir überhaupt zu?“

„Aber natürlich, Herr Ohler. Sie sprachen gerade von Kostenreduzierungen.“

„Davon habe ich kein Wort gesagt. Mein Thema waren Anpassungsmaßnahmen.“

„Ist das denn nicht das Gleiche?“

Ohler sah ihn scharf an. „Hüten Sie sich vor Ihrem Sarkasmus, Becker. Nicht jeder Vorgesetzte ist so nachsichtig wie ich.“ Ohler ordnete einige Papiere, die vor ihm lagen. „Wie gesagt, die Globalisierung. Wir mussten etwas tun, und zwar sofort. Vale? Ich habe daher die drei Mitarbeiter der Marktforschungsabteilung in unsere Werbeagentur ausgegliedert. Das heißt, im Grunde genommen nur zwei. Einen musste ich freisetzen, denn mehr wollten die dort nicht übernehmen. Eigentlich eine Unverschämtheit, wenn ich mir das recht überlege.“

Und die anderen beiden wird man auch bald rausschmeißen, dachte Becker. Die benötigen kein zusätzliches Personal, selbst wenn sie von uns weitere Aufträge erhalten.

„Wir müssen den Mut haben, alte Zöpfe abzuschneiden. Aus diesem Grund werden uns der Werbeleiter und sein Assistent ebenfalls verlassen.“

Der Werbeleiter war Mitte fünfzig und bereits dreißig Jahre im Unternehmen tätig. Er würde mit Sicherheit keine neue Anstellung mehr bekommen.

„Starren Sie mich nicht so an, Becker! Nicht nur wir im Marketing müssen sparen, Gleiches gilt auch für alle anderen Abteilungen. Was meinen Sie, was in der Administration, der Technik und im Verkauf los ist? Sie trifft es leider auch, mein lieber Becker. Keine Angst, ist keine Kündigung. Aber die Innovationskoordination kostet uns einfach zu viel und bringt kurzfristig überhaupt nichts. Ihre Stelle wird ersatzlos gestrichen. Sie übernehmen den gesamten Bereich der hochprozentigen Spirits.“

„Aber das macht doch Rottmann.“

„Von ihm werden wir uns bedauerlicherweise ebenfalls trennen müssen. Haben Sie noch Fragen?“

Becker fühlte sich wie betäubt. Er stand mühsam auf. „Nein, vielen Dank, Herr Ohler. Es war alles sehr klar und deutlich.“

„Hasta la vista, Becker! Kopf hoch, es kommen auch wieder bessere Zeiten.“

Aber nicht in dieser Firma, dachte Becker und verließ den Raum.

 

Als er nach dieser wenig erbaulichen Unterredung bei seinem Chef wieder zurück in seinem eigenen Büro war, hatte er mit seinen achtundzwanzig Jahren die Schnauze vom Geschäftsleben gestrichen voll. Man hatte ihn ungefragt als SPM in eine andere Produktgruppe querversetzt. Ihm war klar, dass er im Ablehnungsfall mit seiner Entlassung hätte rechnen müssen, da seine jetzige Position bereits wegrationalisiert worden war. Die Entscheidung selbst war in gewisser Weise berechtigt, da seit Jahren keine neuen Produkte mehr entwickelt worden waren und man sich mangels besserer Einfälle auf neue Geschmacksrichtungen und Verpackungsgrößen spezialisiert hatte.

Becker hatte akzeptiert, um Zeit zu gewinnen. Sein Berufsziel, mittelfristig in die Marketingleitung aufzurücken, hatte sich in unerreichbare Ferne verzogen. Er wusste, dass er den Job eines Marketing-Direktors, vor dem noch weitere Karrierestufen lagen, bei diesem Tempo mit ungefähr hundertzwanzig Jahren erreichen würde. Allerdings wurde in dieser Firma auf seinem Level ab vierzig niemand mehr befördert. War jemand in diesem Alter angekommen, hatte er seine Endposition erreicht und konnte das akzeptieren oder musste gehen. In jedem Fall war man Bestandteil der potenziellen Personalkosteneinsparungsreserve.

Dabei strebte Becker weder nach Macht noch nach Anerkennung, er wollte einfach nur ein höheres Einkommen. Mehr Geld, das er in seiner jetzigen Position nicht verdienen konnte. Sein erklärtes Lebensziel war es, noch vor seinem fünfzigsten Geburtstag diese Tretmühle zu verlassen, um auf den Bahamas einen Bootsverleih zu eröffnen. Dieses Vorhaben war nun hochgradig gefährdet. In der jetzigen Situation Lorbeeren zu ernten oder aus der Anonymität des Mittelmanagements aufzutauchen, war praktisch unmöglich. Darüber hinaus waren die tradierten Trinkgewohnheiten nicht nur festgefahren, sondern auch noch auf dem Abwärtstrend. Beckers Tätigkeiten würden sich künftig nur noch darauf konzentrieren, die ihm anvertrauten Marken durch Extras aufzupeppen, um höhere Preise beim Handel durchzusetzen.

Er wusste, dies bedeutete das Aus für ihn. Er befand sich bereits auf dem Karrierefriedhof und schaufelte an seinem eigenen Grab. Letzten Endes lief alles auf eine Kündigung hinaus. Doch so leicht würde er nicht aufgeben. Er beschloss, in seine Stammkneipe zu fahren und dort über Alternativen nachzudenken.

Als er im Auto saß und Richtung Hafen fuhr, beglückwünschte er sich zum x-ten Mal, dass er Junggeselle geblieben war und keine frustrierte Ehefrau mit diesen Neuigkeiten beglücken musste.

 

*

 

Karin Reimers hatte schon oft bereut, dass sie sich mit diesem gottverdammten Spanier aus Fuerteventura eingelassen hatte. Es war nur eine kurze Affäre gewesen, und wenn sie es nachträglich beurteilte, hatte sie sich damals eigentlich nur Hals über Kopf in sein freundliches Wesen, sein fast akzentloses Deutsch und seine blonden Haare verliebt. Für weitere Betrachtungen war auch kaum Zeit geblieben, denn als ihr Geliebter von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte und sie sich strikt gegen eine Abtreibung aussprach, hatte er sich sang- und klanglos auf seine Insel abgesetzt und zahlte auch keinen Unterhalt für den mittlerweile vierjährigen Jungen, der an Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung,...



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