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»Wie meinst du das?« Gesprächsführung mit Jugendlichen
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»Wie meinst du das?« Gesprächsführung mit Jugendlichen
von: Martine F. Delfos
Beltz, 2015
ISBN: 9783407222589
333 Seiten, Download: 3992 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

Leistungs-Motivations-Problematik in Japan
Fünfzigerjahre, zwanzigstes Jahrhundert Weltweit höchste Selbstmordrate bei jungen Menschen
Siebzigerjahre, zwanzigstes Jahrhundert Höchste Anzahl schikanierender und schikanierter Kinder in Grundschulen
Neunzigerjahre, zwanzigstes Jahrhundert Höchste Selbstmordrate bei Schülern der weiterführenden Schule
Ende zwanzigstes Jahrhundert Entstehung von Hikikomori, Schulausfall
Anfang einundzwanzigstes Jahrhundert Mangelnde Motivation bei Jugendlichen, nach der weiterführenden Schule zu studieren oder zu arbeiten
Übersicht 7: Leistungs-Motivations-Problematik in Japan
Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts weist Japan die höchste Selbstmordrate bei jungen Menschen auf. Diese scheinen den Appell der Leistungsgesellschaft nicht ertragen zu können. Eine Generation später ist die Schikane in Japan zum gewaltigen Problem geworden, vor allem unter Jungen im Grundschulalter. Mit dem Heranwachsen verlagert sich das Problem – die Selbstmordrate unter Schülern der weiterführenden Schule steigt stark an (Chandler und Yung-Mei, 1993; Zeng und Le Tendre, 1998). Wieder scheint die Erklärung im Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft zu liegen. Offensichtlich lernt sie nichts daraus, denn der Druck nimmt zu. Japan hat Zulassungsexamen für die wichtigen Vorschulen. Bei diesem Examen werden bereits Kindergartenkinder auf ihre Kenntnisse mathematischer Symbole getestet.
Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entsteht in Japan ein neues Phänomen. Der Ausfall an weiterführenden Schulen ist so umfangreich und ernsthaft, dass er einen eigenen Namen bekommen hat: Hikikomori (Sakai, Ishikawa, Takizawa, Sato und Sakano, 2004; Kawanishi, 2004). Viele Jugendliche sind nicht mehr zu bewegen, die Schule zu besuchen, und bleiben bar jeglichen Kontakts in ihren Zimmern und werden von ihren verzweifelten Eltern versorgt. Diese Situation kann Jahre andauern. Wir kennen dieses Phänomen auch in den Niederlanden, aber nicht im selben Ausmaß wie in Japan. Die japanischen Experten sind verzweifelt auf der Suche nach Möglichkeiten, diese zurückgezogenen Jugendlichen wieder zum Schulbesuch anzuregen (Kawanishi, 2004). Das Folgeproblem ist, dass Jugendliche nach der weiterführenden Schule keine Motivation verspüren, ein Studium aufzunehmen oder eine Arbeitsstelle anzutreten. 2002 zählte Japan 850.000 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren, die sich in dieser Situation befanden (Asia News Agencies, 2005). Auch in Taiwan, einer ebenfalls stark leistungsorientierten Gesellschaft, ist die Selbstmordrate ausgesprochen hoch.
Leistungsdruck scheint für diese Phänomene ein wichtiger erklärender Faktor zu sein. Der Druck ist so hoch, dass er für den Durchschnittsmenschen nicht mehr zu Erfolg führt. Statt zu motivieren, wirkt er bei vielen Jugendlichen umgekehrt (Yerkes und Dodson, 1908; Huitt, 2001), wie die Psychologie anhand der Leistungs-Motivations-Kurve bereits vor langer Zeit gezeigt hat: Leistungsmotivation ist bis zu einem bestimmten Grad gut. Danach wirkt sie umgekehrt und führt zu geringerer Leistung (siehe Abbildung 12). Eine gewisse Spannung kurz vor einer Aufgabe ist förderlich, zu viel Spannung kann die Leistung senken, man kann sogar wie gelähmt vor Angst werden.

Abbildung 12: Leistungs-Motivations-Kurve
Auch in den Niederlanden ist das Problem fehlender Motivation bei Jugendlichen bekannt. Um dem etwas entgegenzusetzen, entstehen allerlei neue Schulformen. Kinder und Jugendliche sollen motiviert sein und es schön finden, lernen zu können. Deshalb wird das Lernen nach den Bedürfnissen des Kindes in den Mittelpunkt gestellt. Allerdings findet Lernen an sich nicht ausschließlich oder vornehmlich statt, indem man das tut, was einem gefällt. Im Gegenteil, ein Mensch wird motiviert, indem er erfährt, dass er über sich hinauswächst. Das Gefühl, brillant zu sein, das jeder auf seine Weise kennt, entsteht dadurch, dass man etwas vollbringt, was man zuvor nicht für möglich gehalten hat. Aus uns selbst heraus wagen wir uns aber nur selten an Aufgaben, von denen wir nicht erwarten, dass wir sie erfüllen können. Wir brauchen die Ermutigung eines anderen, beispielsweise einer Lehrkraft, um die Aufgabe anzugehen und zu unserer Überraschung zu entdecken, dass wir mehr können, als wir dachten. Es sind diese beiden Elemente, die unsere Schulkarriere in großem Maß beeinflussen: Kontakt mit Gleichaltrigen und Erfahrungen unerwarteten Erfolges.
Auch neue Schulmodelle berücksichtigen diese beiden Elemente noch zu wenig. Kinder brauchen die Herausforderung, die ein anderer an sie heranträgt. Sie brauchen Lehrkräfte, die genau spüren, wo ihre Grenzen liegen, und ihnen Aufgaben erteilen, die diese Grenze gerade so weit überschreiten, dass ihr Blickfeld erweitert wird.
Vier Faktoren beeinflussen das Lernen bei Kindern und sind wichtig, um die Schule erfolgreich zu durchlaufen: Intelligenz, Aufschub von Bedürfnisbefriedigung, Konzentration und die Motivation, es gut zu machen. Intelligenz ist ein Kernfaktor (siehe Übersicht 8).
Wichtige Merkmale, die das Lernen beeinflussen
Intelligenz Verschiedene Formen: kognitiv, emotional, kreativ, sozial.
Aufschub von Bedürfnisbefriedigung Der Nutzen von Schule ist auf später ausgerichtet.
Konzentration Zum Lernen ist es notwendig, sich über längere Zeit auf ein Thema zu konzentrieren und andere Reize auszuschließen.
Motivation, es gut zu machen Lernen muss teils für einen selbst sein, aber auch einen Zweck haben. Das Selbstbild (westlich) oder die Familie (östlich) sind starke Motivatoren.
Übersicht 8: Wichtige Merkmale, die das Lernen beeinflussen
Intelligenz ist ein so breitgefächertes Thema, dass es Wissenschaftlern noch nicht gelungen ist, sie zu genau zu erfassen. Offensichtlich manifestiert sich Intelligenz in verschiedener Ausprägung von kognitiv bis musikalisch. Intelligenztests können lediglich eine Momentaufnahme sein und sind abhängig von Kultur und Erfahrung. Sie scheinen auch kaum den Aussagewert des Marshmallowtests oder des Candy-Reward-Tests zu erreichen (Mischel, 1958), der schon bei Vierjährigen recht zuverlässig in der Lage ist, gesellschaftlichen, emotionalen und kognitiven Erfolg vorherzusagen (Shoda, Mischel und Peake, 1990). Es geht dabei einfach darum, einem Kind folgende Frage vorzulegen: Möchtest du jetzt ein Bonbon oder nachher zwei? Ein Kind, das sein Bedürfnis nach Süßigkeiten auf ›später zwei‹ aufschieben kann, hat eine bessere Prognose auf Erfolg als ein Kind, das sich für ›ein Bonbon jetzt‹ entscheidet.
Dass dieser Test einen so hohen Vorhersagewert hat, ist nicht erstaunlich. Hierbei spielen sechs wichtige Faktoren eine Rolle. In Übersicht 9 sind sie aufgeführt.
Marshmallowtest , Faktoren, die eine Rolle spielen
Planungskapazität
Kapazität, Bedürfnisse aufzuschieben
Entwickelte Frustrationstoleranz
Vertrauen in Erwachsene
Kapazität zur Einschätzung sozialer Interaktion
Entwicklung des Zeitbewusstseins
Übersicht 9: Marshmallow- oder Candy-Reward-Test, Faktoren, die eine Rolle spielen
Um sich für zwei Bonbons später entscheiden zu können, muss das Kind in der Lage sein, zu planen und an dem Plan festhalten zu können. Das ist eine der ›executive functions‹ (Pennington und Ozonoff, 1996), die für die Regulierung von Verhalten wichtig sind. Das Kind muss zugleich auch ein Bedürfnis aufschieben können, das durch den Vorschlag bereits geweckt ist: ›Das Wasser läuft ihm schon im Mund zusammen.‹ Es ist also auch die Rede von einer gewissen bereits entwickelten Frustrationstoleranz. Das Kind muss die Frustration, jetzt kein Bonbon zu bekommen, ertragen, um sich für ›später zwei‹ entscheiden zu können. Trifft das Kind diese Entscheidung, hat es auch ausreichend Vertrauen in den Erwachsenen, dass dieser seinem Versprechen nachkommen wird, was ein Zeichen freiwilliger Zuneigung ist (Bowlby, 1984). Es ist auch in der Lage, soziale Interaktion zu interpretieren, zu wissen, dass es dem Erwachsenen Ernst ist und dass er keine Scherze macht. Schließlich muss das Kind auch ein gewisses Zeitgefühl haben, um den Begriff ›später‹ einordnen zu können.
Variationen dieses Tests zum Aufschub der Bedürfnisbefriedigung wurden auch mit Kindern mit ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder) durchgeführt. Diese Kinder haben aufgrund ihres Leidens ein Problem mit der Impulskontrolle. Bei dem Test ergab sich, dass sich Kinder mit ADHD tatsächlich häufiger für eine schnelle Bedürfnisbefriedigung entschieden statt für eine aufgeschobene Belohnung (Rapport, Tucker, DuPaul, Merlo und Stoner 1986; Tripp und Alsop, 2001).
An dritter Stelle der wichtigen Faktoren beim Lernen steht nach Intelligenz und Aufschub von...


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