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Was ist Freiheit? - Eine historische Perspektive
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Was ist Freiheit? - Eine historische Perspektive
von: Susan Richter, Angela Siebold, Urte Weeber
Campus Verlag, 2016
ISBN: 9783593435084
337 Seiten, Download: 3767 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

Vorwort
Nach der Überwindung des Kalten Krieges war vom Sieg der freien Welt und des freien Europas die Rede. Damit endete jedoch nicht die Geschichte der Freiheit: Der Begriff ist spätestens wieder seit der Bedrohung des Friedens durch Terroranschläge in der Welt, aber auch seit den europäischen und globalen Finanzkrisen von tagesaktueller Relevanz.
Trotz dieser Präsenz des Begriffes, so war unser Eindruck, waren und sind im Reden über die Freiheit jedoch zwei Missstände sichtbar: Erstens wurde und wird selten benannt, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser politischen und häufig medialen Diskussion unter dem Begriff der Freiheit verstehen. Zweitens suggerieren diese Diskussionen zugleich, dass es eine überzeitliche Definition von Freiheit gäbe und das, obwohl unser heutiges Freiheitsverständnis individuell, kulturell, sozial, aber natürlich auch historisch bedingt ganz unterschiedlich ist. Beide Aspekte führten unserer Ansicht nach zu einer verkürzten und oberflächlichen Debatte über Freiheit in unserer Gegenwart.
Sich der historischen Dimension unseres heutigen Freiheitsverständnisses bewusst zu werden, ist daher das zentrale Anliegen des vorliegenden Buches. Es entstand in der Auseinandersetzung um die Frage, wie insbesondere politische Freiheit in Deutschland heute auf der Grundlage unserer Geschichte begriffen werden kann. Die häufig suggerierte Annahme, dass es eine ahistorische, wahre Definition von Freiheit geben könne, ist dabei selbst ein historisches Phänomen. Denn um die Frage, welche Freiheitsvorstellung die gültige sei, wurde seit Beginn eines politischen Freiheitsdiskurses gerungen.
Auf der Basis unserer jeweiligen Forschungsschwerpunkte wählten wir bekanntere, aber auch weniger bekannte Personen aus der Geschichte der Neuzeit aus, die eine programmatische Freiheitsdefinition vertraten und diese schriftlich begründeten. Zuständig für die jeweiligen Kapitel waren dabei von der Frühaufklärung bis ins frühe 19. Jahrhundert Urte Weeber und Susan Richter, für die Zeit vom Vormärz bis in die jüngste Zeitgeschichte Angela Siebold.
Unser Buch ist jedoch nicht nur im gemeinsamen Austausch über die klassischen Epochengrenzen hinweg entstanden. Wir diskutierten die im Band aufgeworfenen Fragen zudem ausführlich mit Studierenden des Historischen Seminars der Universität Heidelberg. Die Auswahl der vorliegenden Texte ist deshalb nicht nur, aber auch ein Produkt der intensiven Debatten und des studentischen Engagements, für das wir allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Lehrveranstaltung 'Was ist Freiheit? Geschichte des liberalen Denkens seit dem 19. Jahrhundert' aus dem Wintersemester 2014/15 danken. Besonderen Dank für das nachhaltige Interesse und die Fortsetzung der Diskussion in kleiner Runde, die auch hilfreiche Korrekturen und Anregungen formulierte, möchten wir an die Studierenden Jakob Odenwald, Kai Gräf, Pia Hansen, Sebastian Schütte und Felix Reimann richten. Ein weiterer Dank geht an Steve Bahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit, der uns bei der Erstellung des druckfertigen Manuskripts ebenso wie die studentische Hilfskraft Felix Maier maßgeblich unterstützt hat. Besonderer Dank gilt auch Jürgen Hotz vom Campus-Verlag für sein Interesse und gute Gespräche zum Thema 'Freiheit', die umfassende Hilfe im Vorfeld des Drucks sowie für die Aufnahme des vorliegenden Bandes in das Verlagsprogramm von Campus.
Ein solcher Band war nur mit ausreichend freier Zeit umsetzbar. Für diese danken wir herzlich unseren Familien!
Dieses Buch widmen wir unseren Studierenden.
Heidelberg, im März 2016
Urte Weeber, Angela Siebold und Susan Richter
Freiheitsvorstellungen in der Neuzeit:
eine Einleitung
Freiheit ist ein 'Schlüsselbegriff der Neuzeit',1 der das Selbstverständnis des heutigen Europas und auch der Bundesrepublik Deutschland prägt. Zugleich existiert bisher kein Überblickswerk, das die Geschichte der Freiheitsvorstellungen für die gesamte neuzeitliche Epoche in Deutschland in den Blick nimmt. Dabei lohnt sich die historische Perspektive. Denn was als Freiheit verstanden wurde, wandelte sich in der Geschichte der Neuzeit immer wieder. Selten waren sich Akteure in der Geschichte über eine Definition des Freiheitsbegriffs einig - stattdessen waren die damit verbundenen Vorstellungen Anlass zu konfliktreichen Auseinandersetzungen. Freiheitsvorstellungen standen dabei nicht im luftleeren Raum, sondern stets im Bezug zu den konkreten politischen, sozialen oder ökonomischen Rahmenbedingungen ihrer Zeit.
Was kann der Blick in die Vergangenheit leisten? Eine Geschichte der Freiheit zu schreiben, heißt auch, sich der Entstehung und Bedeutung unserer gegenwärtigen Freiheitsvorstellungen anzunähern. Perspektiven aus den vergangenen Jahrhunderten helfen dabei, zu verstehen, auf welcher Grundlage heute Freiheitsvorstellungen formuliert und weshalb dennoch ganz unterschiedliche Konsequenzen für deren Umsetzung gezogen werden. Die Freiheit war immer ein umkämpfter politischer Begriff, in dessen Namen das Wahlrecht gefordert, Revolutionen durchgeführt und Gesetze verabschiedet wurden. Mit Bezug auf den Freiheitsbegriff wurden jedoch auch Kriege begonnen, Menschen vertrieben oder der eigene Machtzuwachs legitimiert. Die Erkenntnis der historischen Wandelbarkeit hilft uns nicht, darüber zu urteilen, wie frei die Menschen in ihren jeweiligen Zeiten tatsächlich waren. Trotzdem lohnt es sich, die historischen Freiheitsvorstellungen und ihre Verschiedenheit in den Blick zu nehmen. Denn erst durch eine bewusste Historisierung von Freiheit kann eine differenzierte und facettenreiche Debatte über die Freiheit in unserer Zeit entstehen.
Das vorliegende Buch will einen fundierten und dennoch überblicksartigen ersten Zugang zum Thema 'Freiheit' in vier Jahrhunderten deutscher Geschichte anbieten, der zu weiteren Forschungen, Fragen und Diskussionen anregen kann. Dabei wurden nur diejenigen Vorstellungen von Freiheit analysiert, die sich mit dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv auseinandersetzten. Es geht also um eine Geschichte der Freiheit als politische Kategorie. Originaltexte historischer Autorinnen und Autoren zeigen die vielfältigen Vorstellungen, welche mit dem Freiheitsbegriff in Verbindung gebracht wurden. Nur einige der hier ausgewählten Personen waren hauptamtliche Politikerinnen oder Politiker, alle jedoch lassen sich als politisch denkende Menschen bezeichnen. Das ausgewählte Quellenkorpus erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wurden Autorinnen und Autoren ausgewählt, die historisch bedeutsame politische, soziale oder ökonomische Strömungen und damit auch verschiedene Deutungsmuster von Freiheit repräsentieren. Hinzu kommen Texte, die in der Forschung bisher kaum oder gar nicht unter der Fragestellung der Vorstellungen von Freiheit beachtet wurden, und durchaus exemplarische oder in ihrer Zeit ganz neue Aussagen über Freiheit beinhalten. Ziel war dabei auch eine bewusste Diversifizierung über bekannte 'Standardtexte' hinaus sowie eine Auswahl programmatischer Texte von unterschiedlichem Bekanntheitsgrad, aber großer Varianz im Freiheitsverständnis. Um das Korpus über die Epochengrenzen hinweg möglichst konsistent zu gestalten, wurden andere Quellengattungen wie Liedgut, Theaterstücke, Belletristik, Lyrik, darstellende Kunst oder audiovisuelle Quellen dezidiert nicht berücksichtigt. Darüber, dass Aushandlungsprozesse um die Freiheit sehr wohl auch in diesen Medien ausgetragen wurden, sind sich die Autorinnen der vorliegenden Abhandlung bewusst. Ergänzende Studien ausgewiesener Experten gerade auch aus den Nachbardisziplinen, etwa der Literatur- und Musikwissenschaft oder der Kunstgeschichte, wären herzlich willkommen.
Beim langfristigen Blick auf die vergangenen vier Jahrhunderte wurde deutlich, dass zwar die Antworten auf die Frage 'Was ist Freiheit?' sehr unterschiedlich ausfielen. Zugleich verhandelten alle hier gewählten Autorinnen und Autoren aber drei grundlegende Aspekte, anhand derer die Kapitel strukturiert sind:
Freiheit wurde erstens immer im Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft diskutiert. Die Antworten auf die damit verbundenen Fragen waren sehr unterschiedlich: Mal wurden der Gesamtheit, mal dem Einzelnen mehr Rechte oder Pflichten zugeschrieben. Die Verfasserinnen und Verfasser hatten z.?B. sehr ungleiche Vorstellungen von individuellen Gleichstellungs-, Selbstbestimmungs- und Partizipationsrechten.
Zweitens benannten alle ausgewählten Personen in ihren Texten die für sie wichtigen Voraussetzungen für die Freiheit. Dabei gab es unterschiedliche Positionen, wer beispielsweise als Garant für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger galt. Auch darüber, wie ein Gemeinwesen struktiert sein müsse oder welche Institutionen geschaffen werden sollten, herrschte selten Konsens. Schließlich wurde auch nicht immer allen zugeschrieben, zur eigenen Freiheit fähig oder ihrer würdig zu sein - Freiheitsvorstellungen konnten somit auch Unfreiheit legitimieren.
Drittens spielte die jeweilige Vorstellung von Zeitlichkeit immer eine zentrale Rolle. So verorteten die Autorinnen und Autoren sich selbst und ihre Freiheitskonzepte in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ganz unterschiedlich.2 Mal entwickelten sie beispielsweise einen Gründungsmythos der Freiheit, mal deuteten sie ihre Zeit als Fortschritts-, mal als Verfallsgeschichte, auf die nun endlich die freie Gesellschaft folgen müsse.
Alle ausgewählten Personen kommen in den folgenden Kapiteln durch ausführliche Zitate selbst zu Wort, aus denen heraus ihre jeweilige Freiheitsvorstellung deutlich werden soll. Das ist auch deshalb wichtig, weil sich die Sprache, mit der über Freiheit geschrieben wurde, stark wandelte: Mal war von den Freiheiten, dann von der einen, wahren Freiheit die Rede, mal von der bürgerlichen Freiheit, aber auch vom deutschen Freiheitskampf oder von der Freiheit auf Grundlage sozioökonomischer Gleichheitsgrundsätze. Ziel des vorliegenden Überblicks ist es, Vorstellungen von Freiheit in ihrer Historizität, also ihrer Wandelbarkeit, und in ihrer Diversität, also ihrer Unterschiedlichkeit und Uneindeutigkeit aufzuzeigen. Dabei wurde der Begriff der Freiheit in verschiedenen Zusammenhängen zum Instrument politischer Akteure und mit jeweils anderen Begriffen in Verbindung gebracht. Zudem standen hinter dem Begriff jeweils verschiedene Ideen, Denksysteme oder Überzeugungen. Schließlich war der verwendete Freiheitsbegriff auch immer Ausdruck bestehender Machtbeziehungen, wurde also im Rahmen dessen verwendet, was in der jeweiligen Zeit gesagt werden durfte und konnte.3
Die hier vorgenommene Auswahl neuzeitlicher Freiheitsvorstellungen beginnt mit dem 17. Jahrhundert und endet in der vereinten Bundesrepublik. Sie deckt damit die gesamte Epoche der Neuzeit ab. Eine solche Überblicksdarstellung, die zugleich Originaltexte zugänglich macht, existiert bisher nicht. Überhaupt gibt es keine Abhandlung, welche die Entwicklung von Freiheitsvorstellungen über einen so langen Zeitraum betrachtet.4
Zwar beginnt die Geschichte der Freiheit nicht erst in der Neuzeit. Die Willens- und Handlungsfreiheit des Einzelnen wurde, vor allem im philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskurs, auch schon früher verhandelt. Politische Freiheit als Freiheit des Individuums wurde verstärkt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts relevant. Vertreter des aufkommenden Naturrechts diskutierten dabei auch staatstheoretische Implikationen. Politische Freiheit wurde zumeist im Plural, etwa als verliehene Freiheiten oder eingeforderte Privilegien, gedacht. Die meisten Studien, die zur Geschichte der Freiheit bereits existieren, konzentrieren sich auf das 19. Jahrhundert und suggerieren in dieser Zeit eine Art 'Stunde Null' des neuzeitlichen Denkens über Freiheit. Doch bereits im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation entwickelten sich Vorstellungen von politischer Freiheit, die über die freien Reichsstädte oder Freiheit als rechtliche Kategorie hinausgingen.5
Untersuchungen zu Freiheitsvorstellungen im 19. und 20. Jahrhundert fokussieren zudem bisher stark auf Institutionen und Parteien. Sie nehmen außerdem selten Positionen in den Blick, die Freiheit unabhängig vom Begriff des Liberalen und des Liberalismus diskutierten.6 Einzelstudien nehmen darüber hinaus die Freiheit im Kontext spezifischer Weltanschauungen oder Ideologien in den Blick.7 Für den Nationalsozialismus und die DDR existieren vor allem Studien, die sich mit dem Freiheitsbegriff oppositioneller Akteure, weniger jedoch mit den Freiheitsdefinitionen der Machthaber beschäftigen. Letztere waren aber für das zeitgenössische Verständnis wie auch für die tatsächlichen Freiheitsräume der Zeit ausschlaggebend.8 Freiheitsvorstellungen aus der jüngsten Zeitgeschichte wurden von der Forschung bisher noch vernachlässigt.9
Der vorliegende Band zielt auf Vorstellungen von Freiheit in der Neuzeit. Dabei konzentriert sich die Studie auf Vorstellungen von Freiheit in Deutschland. Die Primärtexte stammen also aus einem gemeinsamen Kulturraum, der im Selbstverständnis der Autoren als deutsch definiert werden kann. Die unterschiedlichen historischen Organisationsformen, etwa als Verbund mehrerer Territorialstaaten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, als Nebeneinander von Staaten im 19. Jahrhundert, als Kaiserreich, als Republik, als Diktatur, als Demokratie, wirkten dabei prägend auf die unterschiedlichen Vorstellungen von Freiheit zurück. Transkulturelle Einflüsse wurden, wenn sie für die Autorinnen und Autoren der Texte von Bedeutung waren, mitdiskutiert. Da die Deutungskämpfe um die Freiheit nicht abreißen, führt dieser Band die Analyse bis in die gegenwartsnahe Zeitgeschichte fort. Denn auch die Zeit nach 1989 hat unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit in Deutschland hervorgebracht. Freiheit bleibt somit ein politisch umkämpfter Begriff, der auch in Zukunft seiner historischen Wandelbarkeit unterworfen sein wird.
Kurzanalyse des Titelbildes 'Die Freyheit'
Dass die Freiheit ein prominentes Thema war, aber selten exklusive Aufmerksamkeit erfuhr, zeigt sich daran, dass bildliche Darstellungen der Freiheit selbst kaum existieren. Eine Ausnahme ist sicher Miss Liberty in New York. In der Regel finden sich Freiheitssymbole nur in den Staatspersonifikationen der Republiken oder in antikisierende Allegorien. Zurückgegriffen wurde für das vorliegende Cover auf ein Werk des Augsburger Kupferstechers Jeremias Wachsmuth (1711-1771). Er fertigte 1750 in einer Serie von Stichen zu Personifikationen menschlicher Eigenschaften auch eine Allegorie auf Die Freyheit.10 Wachsmuths weibliche Personifikation der Freiheit rekurriert stark auf antike Darstellungen der jungfräulichen, bewaffneten und helmbekrönten Athena/Minerva und ihrer Funktion als Repräsentantin der Tugend (durch jungfräuliche Keuschheit)11 und Schützerin des Gemeinwesens (Athen) aufzutreten. Während auf ihrer erhobenen Lanze der Pileus12 (Kopfbedeckung) baumelt, zu ihren Füßen das Liktorenbündel mit Beil als Zeichen der Amtsgewalt der römischen Magistrate und ihrem Recht auf Rechtsprechung und Strafe liegt, hebt sie in ihrer linken Hand einen Oliven- und einen Palmzweig als Zeichen gütigen Wohlstandes und friedlicher Absicht empor. Die Katze steht als freiheitsliebendes, nicht vollständig durch den Menschen zivilisierbares Tier für die Eigenständigkeit der Freiheit. Die Symbole verweisen auf ein gut strukturiertes, blühendes Gemeinwesen, in dem die Freiheit als Souverän herrscht. Mit den Zweigen verweist sie aber auch auf eine entfernte, bewaffnete Menschenmenge, die außerhalb eines Zaunes steht, sie betrachtet und mit Lanzen droht. Der Zaun trennt und schirmt den von der Freiheit besetzten Raum von einem, auf den sich der Einfluss der Freiheit offensichtlich nicht erstreckt, sondern wo vielmehr Zwang oder Gewalt mittels Waffen herrscht. Diesen Zaun überquert ein männlicher Reiter in vollem Galopp, den einige wenige bewaffnete Personen innerhalb des abgesperrten Areals aufzuhalten suchen. Es handelt sich um einen Eindringling, der sich Zutritt in den von der Freiheit dominierten Raum verschafft und somit zur Bedrohung für sie und das von ihr geordnete, friedliche und reiche Gemeinwesen wird. Die jungfräuliche Freiheit lässt Wachsmuth zum Objekt männlicher Begierde werden, die in den hortus conclusus13 eindringt, ihre körperliche Integrität und damit ihre Wirkmächtigkeit und Souveränität zu zerstören sucht. Aber die Freiheit steht dem Eindringling nicht hilflos ausgeliefert, sondern ruhig und verteidigungsbereit gegenüber, durchaus fähig, zu ihrer Verteidigung selbst Gewalt anzuwenden.
Wachsmuth stellt offensichtlich in seiner Allegorie auf die Freiheit zwei Gemeinwesen gegenüber: eines, in dem die Freiheit herrscht, ein anderes, in dem sie ausgegrenzt scheint, deren Bewohner sich ihr und dem von ihr regierten Gemeinwesen aber gewaltvoll und offensichtlich in zerstörerischer Absicht nähern. Der durch die gewählte Symbolik (Pileus, Liktorenbündel, Lanze etc.) klare Bezug zur Antike zeigt, dass Wachsmuths Allegorie der Freiheit zunächst auf den Freiheitsbegriff der Alten zielte, auf die griechisch und römisch-republikanische Freiheit mit einer republikanischen Verfassung des Gemeinwesens und politischer Partizipation.14 Der Gelehrte Cesare Ripa (um 1555-1622) verweist in seiner Iconologia (einer Sammlung von sogenannten Begriffsbildern, erstmals 1593) als Allegorie des Governo della Republica auf eine 'Donna simile a Minerva', mit eben jenem Olivenzweig für die wirtschaftliche Blüte ebenso wie für Frieden sowie Schild, Lanze und Helm.15 Damit inszenierte Wachsmuth in Anlehnung an Ripa seine Freiheit primär als republikanisches Verfassungs- und Staatsgebilde, als Personifikation der antiken und zeitgenössischen Republiken wie der Eidgenossenschaft, Venedig und der Niederlande. In ihnen war die Urvorstellung von Freiheit noch immer existent. Einen Hinweis auf die Eidgenossenschaft mögen auch die Berge im Hintergrund des Kupferstichs geben. Gerade die Freiheit der Alten und damit die der Republiken standen immer wieder im 17. und 18. Jahrhundert hinsichtlich ihrer ökonomischen Potenz, ihrer Stabilität und Sicherheit im Vergleich zu den Monarchien auf dem Prüfstand staatstheoretischer Vergleiche.16 Dennoch inszenierte diese Darstellung Wachsmuths zunächst vordergründig ein an das republikanische System gebundenes, traditionelles Freiheitsverständnis. Darauf verweist auch der Spruch in der unteren Bildhälfte: Die Freyheit. Dell [Wilhelm Tell] den Apffel hat geschossen/Schweizer auch kein Joch mehr hoffen.

Jeremias Wachsmuth: Die Freyheit, 1750, Staatliche Graphische Sammlung München
Erst in einer möglichen zweiten Lesart nimmt die Darstellung auch auf die Vorstellungen Mitte des 18. Jahrhunderts Bezug, die unter der politischen Freiheit eines Gemeinwesens alle Herrschaftssysteme, auch die Monarchie, subsumierten. Politische Freiheit war unabhängig vom Herrschaftssystem vor allem abhängig von der Unversehrtheit der respublica, des Gemeinwesens, gegenüber äußerer Bedrohung verstanden worden. Die unversehrte Existenz des Gemeinwesens garantierte den Bestand der Souveränität17 und damit im Inneren den Schutz der bürgerlichen Freiheit eines jeden Einzelnen. Bei Zerstörung des Gemeinwesens werde jedoch diese Freiheit im Inneren nicht mehr gewährt. Deshalb musste das Gemeinwesen ebenso wie der einzelne Bürger als Patriot verteidigungsbereit sein und im Notfall sein Leben für den Staat und damit für die Freiheit opfern. Diese Vorstellung, dass die Freiheit eingeschränkt werde, wenn das Gemeinwesen von außen bedroht wird, weist eine auffällige, über die Epochengrenzen hinweg verlaufende Kontinuität bis in die Gegenwart auf.
Verhandlungsmasse und strategisches Instrument: Freiheit in der Frühaufklärung
Die vorliegende Untersuchung setzt in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein. Zu diesem Zeitpunkt war fast überall in Europa das Bedürfnis nach Ordnung groß. Mit dem Westfälischen Frieden war 1648 der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen. Die Erfahrungen der Religionskriege hatten den Glauben in die traditionellen Ordnungskonfigurationen erschüttert. Die Frage, welches die wahre und verbindliche Religion sein sollte, wurde zur Privatsache erklärt: Die politische Ordnung sollte künftig nicht mehr für das Seelenheil ihrer Bürger verantwortlich sein, sondern für deren Überleben und friedliches Zusammenleben.
Die prominenteste Strategie, diese neue Vorstellung eines säkularen Staates zu legitimieren, fand sich im Lehrsatz von Naturzustand und Gesellschaftsvertrag. Dabei kam der Idee einer individuellen Freiheit eine zentrale Rolle zu. Jeder Mensch habe in einem fiktiv gedachten Naturzustand, welcher vor der staatlichen Ordnung existiert habe, Freiheit besessen. Die politische Ordnung gründe nun auf einem Gesellschaftsvertrag, den die Menschen im Naturzustand miteinander schlössen, um diesen zu überwinden. Darin gäben die einzelnen Individuen ihre Freiheit an einen Souverän mit Gewaltmonopol ab. Dieser Souverän sei im Gegenzug dem Schutz und Gemeinwohl seiner Untertanen verpflichtet.
Der Engländer Thomas Hobbes (1588-1697) verdeutlichte 1651 diese Theorie in seinem wohl bekanntesten Werk Leviathan. Der Naturzustand war bei Hobbes dabei klar als Konfliktzustand gedacht. Hobbes sprach von einem 'bellum omnia contra omnes'. Der (jederzeit mögliche) Krieg eines jeden gegen jeden könne allein durch den freiwilligen Zusammenschluss von Menschen überwunden werden. Die politische Gemeinschaft sei entstanden, um die schlechten Eigenschaften der Menschen zu unterdrücken. Der Verlust ihrer natürlichen Freiheit sei der Preis, den sie dafür zahlen müssten.
Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde Hobbes schnell rezipiert. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie die Idee vom Naturzustand in diesem Kontext die Ideen von politischer Freiheit beinflusste. Exemplarisch für die Frühaufklärung - also einer Zeitspanne etwa zwischen 1650 und 1750, in der neue Deutungsangebote aufgegriffen und auf ihre Anwendbarkeit geprüft wurden - werden zwei Autoren untersucht: Samuel von Pufendorf und Nicolaus Hieronymus Gundling.
Freiheit im Tausch für Sicherheit: Samuel von Pufendorf
Einer der ersten und einflussreichsten Denker, der unter Bezugnahme auf Hobbes seine eigenen Vorstellungen von Naturzustand und Gesellschaftsvertrag darlegte, war der zunächst in Heidelberg und dann in Lund tätige Professor für Natur- und Völkerrecht Samuel von Pufendorf (1632-1694). Pufendorf gilt in der politischen Diskussion bis heute als einer der wichtigsten Vertreter einer Philosophie des Naturrechts. Die Annahme von rechtlichen Normen, die unabhängig von positivem, also staatlich gesetztem Recht Gültigkeit haben, revolutionierte nicht nur völkerrechtliche Überlegungen, sondern prägte auch die Vorstellungen politischer Freiheit entscheidend mit.
Individuum und Kollektiv
Wie Hobbes ging auch Pufendorf von einem Naturzustand aus, welcher der politischen Gemeinschaftsbildung vorausgehe. In diesem Naturzustand besitze jedes einzelne Individuum eine natürliche Freiheit, eine 'libertas naturalis'.1 In seinem 1672 veröffentlichten mehrbändigen Werk Vom Natur- und Völkerrecht (De jure naturae et gentium) definierte Pufendorf diese natürliche Freiheit als Zustand, in dem der Einzelne keiner menschlichen Macht unterworfen sei.2 Das Individuum war hier klar der Träger von Freiheit. Und diese Freiheit wurde ohne Voraussetzung gedacht. Jeder Mensch besitze im Naturzustand diese Freiheit, ohne dass sie verliehen, garantiert oder erworben werden müsse.



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