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Kritisch-konstruktiver Journalismus - Impulse für Redaktionen
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Kritisch-konstruktiver Journalismus - Impulse für Redaktionen
von: Christian Sauer, Ulf Grüner
Books on Demand, 2019
ISBN: 9783744878265
224 Seiten, Download: 1036 KB
 
Format: EPUB
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

1. Definitionen & Konzepte


1.1 Wie wir konstruktiven Journalismus
verstehen und warum wir
lieber vom kritisch-konstruktiven
Journalismus reden


Von Ulf Grüner und Christian Sauer

Die Medienbranche diskutiert nun schon einige Jahre über den konstruktiven Journalismus, aber eine schlüssige und einheitlich verwendete Definition ist nicht dabei herausgekommen. Selbst die Mit-Erfinderin1 des Begriffes, die heutige Journalismus-Professorin Catherine Gyldensted, nennt es einen Sammelbegriff: „Constructive journalism is an umbrella term; below it you will find prominent pillars/domains/frameworks like solutions journalism, restorative narratives, etc.“2

Das spiegelt sich gut wieder in all den vagabundierenden Definitionen, wie zum Beispiel in dieser typischen Zusammenfassung aus einer Masterclass Constructive Journalism der Eurovision Academy: „Covering the reality with both eyes open. Finding the way out when possible. Being critical, not negative. Promoting active citizenship.“

Oder, ebenfalls recht typisch, die Formulierung bei Wikipedia:
„Konstruktiver Journalismus ist eine Strömung im Journalismus, die Prinzipien aus der positiven Psychologie in den Journalismus einbezieht. Konstruktiver Journalismus will über ‚positive Entwicklungen’ berichten, um ein ‚einseitiges negatives Weltbild’ bei den Lesern zu verhindern.“

Da möchten wir nicht mitgehen. Über einen möglichen Bezug zur Positiven Psychologie muss man diskutieren (s. die Beiträge von Ulla Ott und von Christian Sauer zur Vorgeschichte), aber sicher sehen wir nicht den Zweck dieses Buches darin, künftig vor allem positive Entwicklungen zu berichten. Zu vage, zu einseitig. Dann läge es ja nahe zu glauben, dass man negative Entwicklungen vernachlässigen könnte. Schon eher trifft es die Definition von Perspective Daily3: „’Und was jetzt?’ Diese scheinbar unbedeutende Frage fasst den Kern des Konstruktiven Journalismus zusammen. Nicht immer nur ‚Was ist das Problem?’, sondern auch ‚Wie kann es weitergehen?’ und ‚Was kann besser werden?’. Genau wie konstruktive Kritik versucht Konstruktiver Journalismus, Probleme zu beheben, indem Vorschläge für Alternativen gemacht werden.“

Und etwas weiter im Text: „Konstruktiver Journalismus gibt ein vollständigeres Bild der Welt: Er beschreibt nicht nur, was in der Welt schief läuft, sondern bemüht sich, Lösungen für bestehende Probleme aufzuzeigen und zu diskutieren. Die Idee ist vergleichbar mit konstruktiver Kritik: Dabei wird dem Gegenüber nicht nur mitgeteilt, welche Fehler gemacht wurden, sondern auch, was gut gelaufen ist und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt.“

Das ist lebendig erklärt und nah am Journalistenalltag. Gerade die Betonung auf ein möglichst vollständiges Bild der Welt entspricht unserem Ethos. Klar, das ist keine Neuerfindung des Journalismus. Nur eine Anleitung zur Auffrischung. Und daher wagen wir eine ausführlichere eigene Definition:

„Der Konstruktive Journalismus beschreibt die Wirklichkeit und leuchtet sie aus – darin ist er klassischer Journalismus. Zugleich geht er darüber hinaus, erschließt Kontexte und Zukunftsperspektiven. Das geschieht durch die kritische Suche nach möglichen Lösungen, einordnenden Informationen, Transparenz der Quellen und Dialog mit dem Publikum. Eine der erwünschten Folgen ist, dass unser Publikum mehr Ansätze für eigene konstruktive Aktivität findet. Das impliziert, die Welt als gestaltbar zu verstehen und unser Publikum als denkwillig und handlungsfähig. Dabei ändert sich nichts an den Werten und Verfahren: Journalisten wahren kritische Distanz zu allen Akteuren und achten auf sauberes Handwerk. Sie streben nach bestmöglicher Qualität.“

Oder wie im Leitbild des Dänischen Rundfunks formuliert: „DR shall inform, challenge and bring together people in Denmark.“ Umfassend informieren, so dass alle es verstehen. Herausfordern, weil mögliche Lösungen neues Denken erfordern können. Menschen zusammenbringen, weil Journalismus eine gesellschaftliche Verantwortung hat.

Kurzfassung: Fakten, Perspektive und Diskurs.

Konstruktiver Journalismus wird in dieser Definition als umfassender Ansatz verstanden, der über den Kern der Lösungssuche – als Ergänzung zum Benennen von Problemen – erkennbar hinausgeht. Insofern greifen wir die Vorarbeiten der Vertreter des Solutions Journalism4 in den USA auf, verstehen konstruktiven Journalismus jedoch als übergreifendes Konzept. Wir verzichten als Journalisten auf den Anspruch, etwas selbst verändern zu wollen. Kein Kampagnen-Journalismus, sondern Diskurs. Wir sind Gastgeber, Initiatoren, Fakten-Prüfer. Ja, das hat Anklänge an die Neudefinition öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie es 2016 das Gottlieb-Duttweiler-Institut formuliert hat: „Der Service Public von morgen hat die Aufgabe, über Filter-Bubbles und Bevölkerungsgräben hinweg Zusammenhalt und Meinungsvielfalt … zu fördern“5.

Es geht um feine, aber höchst bedeutsame Unterschiede. Wer Perspektiven, nach Lösungen recherchiert, wer dafür sorgt, dass sein Publikum die Welt versteht, und sich nicht scheut, auch komplexe Lösungen, ungewohnte Ideen zu präsentieren, also sein Publikum herauszufordern – der betreibt damit noch lange keinen Aktions- oder Kampagnen-Journalismus. Das unterscheidet unser Verständnis von den Ideen, der Solutions/Constructive Journalism solle etwas bewegen. Die Mahnung der Journalistin Kathrin Hartmann ist berechtigt: „Der konstruktive Journalismus […tappt] in die Falle des neoliberalen Ideals: Wenn wir alle mit anpackten, würde die Welt eine bessere werden. Soziale Missstände aber haben komplexe, zum Teil strukturelle Ursachen.“6 Zugleich heißt Konstruktiver Journalismus dann für uns, vor strukturellen Ursachen nicht zu kapitulieren.

Auch unsere Definition orientiert sich an den drei Aspekten des konstruktiven Journalismus:

  1. Die Fakten: Überprüfen wir die Relevanzkriterien. Zeigen wir wirklich die Welt, wie sie ist? Tragen wir bei zum Verstehen der Wirklichkeiten? Helfen wir mit Informationen dem gesellschaftlichen Diskurs?
  2. II. Die Perspektive: Wie sehen Lösungen aus? Wen und was braucht es dafür? Wer profitiert, wer verliert? Wie kann es weitergehen? Wer hat schon Erfahrungen? Wer hat Expertise? Und woran erkennen wir das?
  3. III. Der Diskurs: Raus aus den Filterblasen. Wer redet? Wo? Mit wem? Wo fehlt Dialog? Was macht gelingende Kommunikation aus?

Nur mal so ein paar Fragen für den Beginn. Denn so verstehen wir unsere Definition: als Hilfe für mehr und genauere Fragen im Redaktionsalltag.

Oder um Claudius Seidl zu zitieren, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, auf die Frage „Was sollte Journalismus leisten?“: „Er sollte von dem Neuen berichten. Und er sollte vor allem Handreichungen geben. Ich sage nicht, wir sind die Gate-Keeper, … Aber überzeugende, plausible, intelligente Vorschläge sollten wir leisten. Der Leser ist eh nicht so doof, dass er sich von uns manipulieren lässt.“7

Selbstverständnis | Image | Relevanz | Leser-Reaktionen | Beispiele |

1.2 Warum Leser Lösungen wollen
(und nicht nur Probleme)


Von Dominique Eigenmann

„Probleme schreien, Lösungen flüstern“, schreibt David Bornstein. Der Publizist und Kolumnist der „New York Times“ hat 2011 das Konzept des „Solution Journalism“ massgeblich entwickelt, das heute als „konstruktiver“ oder „lösungsorientierter“ Journalismus in aller Munde ist. Was Bornstein meinte: Weil die Probleme so laut sind, übertönen sie in den klassischen Newsmedien fast alles andere. Kriege, Krisen, Katastrophen, wohin man schaut. „So ist die Welt halt“, sagt der klassische Journalist, und er hat Recht. Aber die Welt ist eben nicht nur so: Täglich gibt es auch positiven Wandel, soziale Verbesserungen, Reformen, die Fortschritte bringen, kleine, alltägliche Geschichten des Gelingens. Nur berichten tun die Medien selten darüber.

Das hat natürlich mit dem klassischen Selbstverständnis des Journalismus zu tun, das darin besteht, Aufpasser der Gesellschaft zu sein, weniger ihr Gestalter. Die edelste Aufgabe der Medien ist es, „dreckige Geheimnisse“ zu enthüllen und damit der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, Missstände zu beheben. Das bleibt eine unverzichtbare Aufgabe, aber der heutige Journalismus täte gut daran, sich nicht darin zu erschöpfen. Bernd Ulrich von der „Zeit“ hat kürzlich in einem Essay über den gegenwärtigen Zustand des Journalismus geschrieben: „Nicht nur das Böse tarnt sich heute, auch das Gute ist verdeckt.“ Deswegen müssten sich die Medien mehr bemühen, auch das Wegweisende darzustellen, der Hoffnung Raum zu geben. David Bornstein schreibt, ihm komme der klassische Krisenjournalismus vor wie ein Vater, der seinem Kind jeden Morgen all seine Mängel und Fehler...



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