"Kapitel 7 Das Kaspische Meer (S. 91-92)
Beim Blick auf die Seekarte sieht Olearius, dass sie nicht der Wirklichkeit entsprechen kann. Seine Messungen haben bisher ergeben, dass alle bei der Reise benutzten Karten fehlerhaft sind, die vom Kaspischen Meer ist besonders ungenau. Noch immer gilt, was Chronisten aus der Zeit des Kaisers August festgestellt haben wollen.
Danach ist das Mare Caspium um ein Vielfaches breiter als länger. Olearius weiß, dass es genau umgekehrt ist. Aber man glaubt ihm nicht, schätzt die Dauer der von Norden nach Süden zurückzulegenden Reise somit falsch ein. Ebenso falsch ist die Vermutung, es gebe wie auf der Nordsee Ebbe und Flut. Es sei der Wind, der den Wasserstand verändere, verkündet Olearius, aber er mahnt vergebens. Der Herr Sekretarius vertraue allzu sehr seinen Messgeräten, habe zu intensiv in seinen Büchern gelesen.
Der Schiffer sagt dies, und Brüggemann bekräftigt dessen Meinung. Daher verzichtet Olearius auf weitere Ratschläge, schreibt die Ergebnisse seiner Messungen nur noch in sein Protokollheft, dessen Inhalt er lediglich dem zunehmend leidenden Freund Fleming verrät. Nur ihm vertraut er auch seine Hoffnung an, während des gewiss längeren Aufenthalts in Isfahan könnte man das Schiff benutzen, um das bisher weitgehend unbekannte Kaspische Meer zu erforschen.
Denn schon jetzt habe sich gezeigt, dass nicht nur die geografische Lage vollkommen falsch beurteilt worden sei. Hinzu kämen noch andere Irrtümer. So könne man ja wohl kaum übersehen, dass das Wasser nicht schwarz wie Pech sei, wie Petreius in seiner Chronik schreibt, und ebenso unzutreffend sei sein Bericht von wunderbaren Städten auf den Inseln. Alle Eilande, die man bisher gesehen habe, seien völlig unbewohnt, und keinerlei Spuren wiesen auf eine frühere Besiedlung hin. Auch die Behauptung, in der See wimmele es vor großen Schlangen und von Fischen ohne Kopf, aus denen man Tran gewinnen könne, entspreche offensichtlich nicht der Wahrheit.
Noch zu prüfen sei dagegen das Gerücht, in der Nähe der Stadt Baku gebe es Brunnen, aus denen unaufhörlich Öl an die Oberfläche fließe. Als Fleming die Frage stellt, was genau es auf dem Mare Caspium überhaupt noch zu erforschen gebe, wenn er doch schon so viele neue Erkenntnisse gewonnen habe, beantwortet Olearius diesen vorsichtigen Zweifel mit einem längeren Diskurs, aus dem der Freund erkennt, wie gründlich sich der Sekretär insgeheim mit dem seit mittlerweile vier Wochen befahrenen Meer befasst hat:
Völlig unerforscht sei beispielsweise, wo eigentlich das Wasser bleibe, das nicht nur aus der Wolga, sondern von hundert weiteren Strömen in das Meer fließe. Von einem Abfluss sei jedenfalls nichts bekannt. Vielleicht verschwinde das Wasser in der Erde und tauche in einem anderen Weltmeer wieder auf, wirft Fleming ein, der inzwischen deutlich größeres Interesse an dem Mare Caspium gefunden hat als zu Beginn des Gesprächs.
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