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Kleine Geschichte Griechenlands - Von der Staatsgründung bis heute
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Kleine Geschichte Griechenlands - Von der Staatsgründung bis heute
von: Ioannis Zelepos
Verlag C.H.Beck, 2014
ISBN: 9783406653445
240 Seiten, Download: 3959 KB
 
Format: EPUB, PDF
geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop

Typ: A (einfacher Zugriff)

 

 
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Leseprobe

1. Historischer Rahmen: Die osmanische Zeit


Eine Darstellung der Geschichte des modernen Griechenland muß mit einem Blick auf die historischen Rahmenbedingungen beginnen, unter denen sich die Staats- und Nationsbildung vollzog. Das betrifft politische, soziale und kulturelle Aspekte, deren Fernwirkungen teilweise bis in die Gegenwart reichen, sowie die spezifischen Gründe, die zur Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert führten.

Herrschaft, Siedlungsstruktur und Identität


In ihrer überwiegenden Mehrheit und für die längste Zeit ihrer Geschichte, nämlich von der Antike bis ins 20. Jahrhundert hinein, lebten Griechen – dieser Begriff wird hier zunächst unhinterfragt gebraucht – als Angehörige multiethnischer Reiche, die einer imperialen Staatsidee folgten und in ihrem Inneren durch ein starkes Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie gekennzeichnet waren. Das äußerte sich vor allem in der herausgehobenen Bedeutung, die der Hauptstadt als Orientierungspunkt des politischen, wirtschaftlichen wie kulturellen Lebens zukam. Diese Hauptstadt war seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert das an der Meerenge des Bosporus gelegene Byzanz bzw. Konstantinopel. Nach dem endgültigen Untergang Ostroms fand diese im osmanischen Istanbul eine nahtlose Fortsetzung, so daß sich eine historische Kontinuitätslinie von nahezu zweitausend Jahren ergibt, die natürlich nicht nur die Griechen, sondern alle Völker der Region betraf und in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung kaum zu unterschätzen ist.

Eng damit zusammen hängt die griechische Siedlungsstruktur, die sich bereits seit der Antike durch eine relativ große räumliche Streuung und entsprechende Zergliederung auszeichnete. Gebiete mit griechischer Bevölkerung erstreckten sich über einen großen Teil des östlichen Mittelmeer- und Schwarzmeerraums: Neben Zypern gehörten dazu Kleinasien mit Schwerpunkten in Kappadokien, Kilikien sowie den westlichen Küstenstreifen vom Marmarameer bis Antalya, ferner die Pontosregion im Nordosten Anatoliens, die außer dem Küstenstreifen von Sinope bis Trapezunt auch das gebirgige Binnenland um die Städte Amasya, Tokat, Gümüşhane und Erzurum umfaßte. Von hier aus kam es seit der Frühen Neuzeit zu verschiedenen Migrationswellen in Richtung Kaukasus sowie an die Nordküste des Schwarzen Meeres, die nach der russischen Eroberung von den Zaren systematisch gefördert wurden. So entstanden Siedlungsschwerpunkte am nördlichen Rand des Asowschen Meeres sowie an der Mündung des Don mit den Städten Mariupol, Taganrog und Rostow. Etwas weiter südöstlich davon entstanden in Noworossijsk, Jekaterinodar und Suchumi weitere Zentren. Im Süden der Halbinsel Krim gab es schon früh eine kontinuierliche griechische Besiedlung um die Städte Sewastopol, Simferopol, Jalta und Kertsch. Ebenfalls antike Wurzeln hatten die griechischen Siedlungen auf Sizilien und in Süditalien, wo der Bevölkerungsanteil allerdings seit dem Mittelalter rückläufig war.

Im Kernraum an der Ägäis gab es andererseits kaum einen Landstrich, der ausschließlich von Griechen bewohnt gewesen wäre. Das gilt auch für die Region des «klassischen Hellas» von Thessalien bis zur Peloponnes, die seit dem Mittelalter Ziel verschiedener Migrationsbewegungen wurde, welche das antike Siedlungsgefüge gründlich veränderten. Während die zunächst zuwandernden Slawen durch Byzanz weitgehend assimiliert wurden, blieben die später vordringenden Albaner als eigene Gruppe bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bestehen. Der Raum war aber nicht nur in ethnisch-sprachlicher, sondern auch in religiös-konfessioneller Hinsicht heterogen. Neben der orthodoxen Mehrheitsbevölkerung gab es zahlreiche römisch-katholische Gemeinden, die sich – etwa auf den Kykladeninseln – bis heute erhalten haben und teils auf die lateinischen Staatsgründungen infolge des Vierten Kreuzzugs von 1204 zurückgingen, teils aber auch das Ergebnis der Missionspolitik der Päpste im östlichen Mittelmeer seit der Frühen Neuzeit waren. Darüber hinaus existierten schon in der Antike jüdische Gemeinden, z.B. in Athen und Korinth, wie das Neue Testament zeigt; hinzu kam die Zuwanderung von sephardischen Juden aus dem westlichen Mittelmeerraum seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Die muslimische Bevölkerung in der Region ging zum einen auf Zuwanderung im Zusammenhang mit der osmanischen Eroberung zurück, zum anderen auf Konversionen einheimischer Christen, die vor allem seit dem 17. Jahrhundert dokumentiert sind.

Übersichtskarte Balkan – Ostmittelmeer – Kaukasus

Damit wird deutlich, daß das Leben in ethnisch, religiös wie sprachlich heterogenem Umfeld viele Jahrhunderte lang für die Griechen wie auch für andere Völker in diesem Raum eine historische Grunderfahrung darstellte. Dieses Bild wird durch die Existenz zahlreicher griechischer Diasporagemeinden noch unterstrichen, die seit dem 16. Jahrhundert zunächst vor allem in Italien, dann im Habsburgerreich sowie im ganzen mittel- und osteuropäischen Raum entstanden. Sie waren keineswegs Exilgemeinden, sondern fester Bestandteil eines grenzüberschreitenden Kommunikationsraums, in dem die griechische Gesellschaft der vormodernen Zeit lebte und sich später auch als Nation formierte.

Im Hinblick auf die Identität ist zunächst anzumerken, daß diejenigen Personen, von denen bislang als «Griechen» die Rede war, sich in vormoderner Zeit selbst üblicherweise nicht als solche bezeichneten, und daß der Begriff «Hellenen» seit der Spätantike als Synonym für «Heiden» gebraucht wurde. Er stand damit in diametralem Gegensatz zu ihrem wichtigsten Zugehörigkeitskriterium, dem Christentum und namentlich dem Bekenntnis zur Orthodoxie. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts kam es im Zusammenhang mit der Nationalbewegung zu einer Umdeutung dieses Begriffs, vorher aber figurierten «Hellenen» ansonsten allenfalls noch als mythische Riesenwesen in volkstümlichen Legenden. Die Griechen nannten sich hingegen selbst «Romaioi» bzw. «Romioi», d.h. «Römer», was auf das Oströmische Reich zurückverwies und im populären Sprachgebrauch noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verbreitet war, oder einfach nur «Christen» bzw. «Östliche Christen», was auf die orthodoxe Bekenntnisgemeinschaft verwies.

Die Rolle der Orthodoxen Kirche


Im Osmanischen Reich hatte diese Zugehörigkeit eine handgreifliche formaljuristische Dimension, denn nach islamischem Recht wurden die nichtmuslimischen Untertanen des Sultans, soweit sie Angehörige von Buchreligionen waren, nach ihrer Konfession in «millets» («Nationen») gegliedert, wodurch ihr Status als «zimmis» («Schutzbefohlene») legitimiert wurde. Entsprechend dieser Ordnung, die bis zum 19. Jahrhundert weitgehend unverändert blieb, bildeten die orthodoxen Christen des Reichs das «millet-i-Rum», wobei das Wort «Rum» ebenfalls auf «Rom» bzw. «Römer» zurückgeht. An dessen Spitze hatte Sultan Mehmet II. nach der Eroberung von Byzanz 1453 den orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel gesetzt. Als «millet başı» bzw. «Ethnarch» war dieser nun nicht mehr nur religiöses, sondern auch weltliches Oberhaupt der orthodoxen Christen und in dieser Eigenschaft zugleich einer der höchsten Würdenträger des Osmanischen Reichs und dementsprechend mit einer Reihe von Privilegien und Kompetenzen ausgestattet. Die Einsetzung folgte sehr pragmatischen Überlegungen und trug in doppelter Hinsicht zur Stabilisierung der osmanischen Herrschaft bei. Einerseits wurden damit die orthodoxen Untertanen, die in den neu eroberten und noch nicht fest konsolidierten Gebieten Südosteuropas die Mehrheitsbevölkerung stellten, formal in das staatliche Institutionengefüge des Reiches eingegliedert. Andererseits konnte auf diese Weise der Klerus für staatliche Verwaltungsaufgaben, darunter etwa die Erfassung der Einwohner für die Steuererhebung oder Aufgaben der niederen Zivilgerichtsbarkeit, herangezogen werden, welche die osmanischen Eroberer ansonsten nur schwer mit eigenen Mitteln hätten bewältigen können. Besonders gut funktionierte die Kooperation zwischen osmanischem Staat und orthodoxem Klerus dort, wo letzterer zuvor unter lateinischer Herrschaft unterdrückt worden war und durch die muslimische Eroberung somit eine deutliche Aufwertung erfuhr. Auch für die breite Bevölkerung war der Wechsel von christlicher zu muslimischer Herrschaft in mancherlei Hinsicht mit Vorteilen verbunden, da das osmanische Steuersystem zumindest in der Anfangszeit vergleichsweise moderat war und für die Betroffenen eine spürbare wirtschaftliche Erleichterung brachte. Zudem kam es in einigen Gebieten, etwa auf den Inseln der Ostägäis, die seit dem Mittelalter notorisch von Piraterie geplagt waren, vielfach zu freiwilligen Unterwerfungen unter die Sultansherrschaft, die nicht zuletzt durch das Bedürfnis nach Sicherheit motiviert waren.

Es wäre allerdings verfehlt, aus solchen und ähnlichen Befunden ein idyllisches Gesamtbild der osmanischen Eroberung Südosteuropas abzuleiten, ging sie doch mit beträchtlichen...



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